Wenn der Papst schreit: Eine aktuelle Bild-Theologie von Francis Bacon.

Ein Hinweis auf die Papst – Gemälde von Francis Bacon (1909-1992)
Von Christian Modehn am 2.5.2025

Wann, wenn nicht jetzt, wenige Tage vor Beginn des Konklaves am 7. Mai 2025, ist es hilfreich und inspirierend, an die Papst Gemälde von Francis Bacon zu erinnern. Er zeigt in seinen etwa 45 Arbeiten zum Thema in verschiedenen Variationen immer wieder (bis zum Jahr 1965) einen und denselben schreienden Papst. Angeregt wurde Bacon zu dieser provokativen Bild – Theologie durch das berühmte Gemälde von Diego Velazquez, das als kritisches Porträt Papst Innozenz X. darstellt. Das Gemälde entstand 1649/1650. LINK.

Die Arbeiten Bacons, auch dessen vorbereitenden „Studien“ zu den Papstgemälden, sind über das Internet leicht zu erreichen und ausführlich zu betrachten.(Fußnote 4).
Wir bieten nur einige Hinweise zur Bedeutung dieser Arbeiten Bacons.

1.
Die Aktualität der Bacon – Gemälde ist ganz eng mit der „Kammer der Tränen“ verbunden, einem kleinen Raum dicht an der Sixtinischen Kapelle, dem Ort der Papstwahl. In diesen Raum zieht sich der gewählte Papst zurück. Dort ist er allein. Unmittelbar nach der Wahl kann er dort seinen Gefühlen ungeschützt und unbeobachtet „freien Lauf lassen“: Er kann weinen, bitten, beten, schreien: Für Francis Bacon ist das Schreien wesentlich: Es ist ein Schreien nicht vor Freude. Sondern: Der Papst weiß sich in der Deutung Bacons förmlich eingezwängt, wie in einen Käfig eingesperrt sitzt er allein da, wie gelähmt und fest fixiert.
Ist die Aussage Bacons nicht sehr treffend angesichts der nur enorm zu nennenden und eigentlich total überfordernden Herausforderungen seines Amtes: Er soll ein „Papa“ für 1,5 Milliarden Katholiken sein in einer zerstrittenen Kirche, zerrissen zwischen „progressiv“ und „konservativ” und auch „reaktionär“. Er soll auf die Herausforderungen einer friedlosen Welt mit ökologischer Katastrophen und zunehmender sozialer Ungerechtigkeit als Staatsoberhaupt wie als geistlicher Führer (Papst) Weisungen geben und heilen und helfen…

2.
In der „Kammer der Tränen“ (Fotos siehe: Fußnote 1) steht ein rot ausgekleidetes Sofa bereit, um zur Ruhe zu kommen … oder auch erregt, sitzend, liegend, zu schreien. Vor den Augen des gerade gewählten Papstes hängen gut sortiert in verschiedenen Größen seine neuen weißen Gewänder, seine alternativlose Dienstkleidung sozusagen. Das Tragen jeglicher Form von bürgerlicher oder wenigstens moderner klerikaler Kleidung (schwarzer Anzug etc.) steht außerhalb jeglicher Überlegung. Ein Papst in grauem Anzug mit roter Krawatte? Angesichts der totalen Macht der Traditionen und Kleiderordnungen in der Kirche unmöglich.
Die weißen Papstgewänder hängen also in verschiedenen Größen zur Anprobe bereit: Sie zwingen zur Einsicht: Es gibt kein Entkommen mehr. Einst Kardinal, jetzt Papst, an der obersten Spitze einer klerikalen Hierarchie, die sogar noch als göttliche Stiftung gilt. Angesichts dieser Last, dieser Fixierung auf Traditionen und Dogmen, ist Schreien Ausdruck von Erschütterung und Verzweiflung.

3.
Der Kunsthistoriker und Literaturwissenschaftler Wieland Schmied hat in seiner großen Studie „Francis Bacon“ (1985, bei Frölich und Kaufmann) viele Details zu Bacons Papstbildern (auch in der Beziehung auf Velazquez) mitgeteilt. Und Schmied zeigt: Es geht Bacons um eine fundamentale Kritik am Papst und am Papsttum. In Bacons Papstporträts sieht Schmied durchaus den Ausdruck von „Aggression, Wut und Hass“ (S. 12). „Der eigentliche Kampf Bacons gilt dem Weltbild von Velazquez. Bacon richtet sich gegen dessen Vision des Papstes. Er richtet sich gegen die hierarchische Weltordnung, für die dieser Papst steht“ (ebd.). Also gegen die unantastbare geistliche Autorität, gegen das festgelegte Weltbild, „das Bacon als ungültig und unwahr empfindet“ (ebd.). Wieland Schmied schreibt: „Bacon rüttelt am Weltgebäude, wie es uns die Kirche und die großen Maler in ihrem Auftrag überliefert haben. Aber der Papst (in Bacons Gemälden) wehrt sich gegen den Einsturz der alten Weltordnung. Der Papst Bacons schreit, grimassiert, klammert sich an seinen Thron, er erhebt die Faust , er schlägt zurück“. (S. 14). Der Papst bleibt in der Deutung Bacons trotzdem wie ein Gefangener in einem Käfig sitzen. Er will sich aus dieser Fixiertheit nicht selbst befreien.

4.
Besonders eindrucksvoll sind die drei 1951 entstandenen Gemälde mit dem Titel „Papst I“, „Papst II“, „Papst III“, wobei besonders „Papst II“ sehr eindrucksvoll ist., im Buch auf Seite 25 in Farbe wiedergegeben. (Im Internet: Fußnote 2.)

5.
Die Papst – Gemälde von Francis Bacon zeigen eine andere Seite, vielleicht die entscheidende des Papstes und des Papsttums im ganzen: Dieses Amt wurde geschaffen, um die geistliche Macht des Katholizismus über alles in dieser Welt zu etablieren. Der große reaktionäre Verteidiger des Papsttums Joseph de Maistre (1753-1821) hat in seinen apologetischen Publikationen zum Papsttum betont: „Immer muss EINER sein, dem nicht gesagt werden kann: Du hast geirrt.“ (Fußnote 3). Dieser EINE Irrtumslose ist für de Maistre der Papst: Er ist der „institionalisierte Ausdruck des Absoluten“, wie Martin Burkhard im Vorwort des Buches schreibt: De Maistre wollte die Welt von der Notwendigkeit der Herrschaft des Papsttums überzeugen… viele seiner Argumente fürs Papsttum wirken bis heute in katholischen Kreisen. An die Abschaffung dieser Form des Papsttums denkt niemand. Im offiziellen Katechismus der katholischen Kirche (1993) hat der „Papst als Stellvertreter Christi“ „die volle, höchste und allgemeine Vollmacht über die Kirche, die er immer frei ausüben kann“ (§ 882).
Angesichts dieser Allmacht lassen wir also auch den künftigen Papst in der „Kammer der Tränen“ schreien. Aber Kopien der Papst – Gemälde von Francis Bacon werden diese „Kammer der Tränen“ gewiss nicht „verzieren“.

6.

Am 14.4.2022 hat Christian Modehn einen Beitrag veröffentlich, in dem für öffentliche “Räume, wo wir schreien können” plädiert wird, Schreien als Therapie in Wut und Verzweiflung … über die Welt, die Kirchen. Leer stehende Kirchengebäude würden sich dafür in den Städten anbieten oder auch in renovierten, aber ebenfalls kaum noch genutzten Dorfkirchen in Brandenburg, Mecklenburg usw.. LINK:

Fußnote 1: https://popeemeritus.wordpress.com/2013/03/13/sala-delle-lacrime-room-of-tears-vatican-raum-der-tranen-vatikan-www-popeemer-com/

Fußnote 2.
 Das Gemälde „Pope II“: https://www.kuma.art/de/francis-bacon-pope-ii

Fußnote 3:
Joseph de Maistre, „Vom Papst. Ausgewählte Texte“, Semele Verlag Berlin, 2007, S. 195.

Fußnote 4: LINK  zu den Papstgemälden Bacons.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Willkommen im Religions-Philosophischen Salon Berlin

Der Religionsphilosophische Salon Berlin. Einige Hinweise von Christian Modehn und Hartmut Wiebus am 3.2.2025.

1.
Der Religionsphilosophische Salon Berlin ist seit 2007 eine Initiative von Christian Johannes Modehn und Hartmut Wiebus. (Biographische Hinweise: Fußnote 1.)
 Übliche, also öffentliche Salon – Veranstaltungen fanden monatlich von 2007 – 2020 statt. Jetzt gestaltet wir philosophisch – theologische Gespräche in kleinerem Kreis. Regelmäßig werden neue Beiträge als Hinweise zur philosophischen und theologischen Debatte auf unserer Website publiziert, bis jetzt sind es 1.650 Beiträge, Hinweise genannt, Stand 3.3.2025.

2.
 Titel und „Sache“ eines „(religions-)philosophischen Salons“ sind alles andere als verstaubt. Das Interesse an philosophischen Gesprächen und Debatten in überschaubarem Kreis, in angenehmer Atmosphäre eines Salons, ist evident. Das gilt, selbst wenn viele Interessierte betonten, „Philosophie“ sei schwierig. Das ist sie vielleicht, nicht aber Philosophieren: Es ist Lebenselement eines jeden.
In unserem religionsphilosophischen Salon wird das möglichst eigenständige Philosophieren (kritische Nach – Denken) geübt.
Philosophische Religionskritik gehört elementar zur Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie. Philosophische Religionskritik kann zeigen, welche Form einer vernünftigen Religion bzw. Spiritualität heute zur Lebensgestaltung gehören kann.

3.
 Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie gibt es nur im Plural, die (Religions-)Philosophien in Afrika, Asien und Lateinamerika dürfen nicht länger als „zweitrangig“ behandelt werden. In welcher Weise Religion dort zum „Opium“ wird angesichts des Elends so vieler Menschen, ist eine relevante Frage, auch angesichts der Zunahme von christlichem und muslimischem Fundamentalisten. Dringend ist die Frage: Inwieweit ist philosophisches Denken Europas eng mit dem kolonialen Denken verbunden?

4. 
In unseren Gesprächen wird oft erkannt: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien bieten in ihren vielfältigen Entwürfen unterschiedliche Hinweise zur Fähigkeit der Menschen, ihre engen Grenzen zu überschreiten und sich dem im Denken zu nähern, was die Tradition Gott oder Transzendenz nennt.

5.
 Uns ist es wichtig uns zu zeigen, dass Menschen im philosophischen Bedenken ihrer tieferen Lebenserfahrungen das Endliche überschreiten und das Göttliche, das Transzendente, erreichen können. Das Göttliche als das Gründende und Ewige zeigt sich dabei im Denken als bereits anwesend und dieses denkende Transzendieren ermöglichend. Die auf das Wesentliche reduzierte Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie von Kant gilt uns als wichtige Inspiration für eine heutige vernünftige (!) christliche Spiritualität.

6.
 Insofern ist Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie auch eine subjektive Form der Lebensgestaltung, d.h. eine bestimmte Weise zu denken und zu handeln.
Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie kennt keine Dogmen, sicher ist nur das eine Dogma: Umfassend selbstkritisch zu denken und alle Grenzen zu prüfen, in die wir uns selbst einsperren oder in die wir durch andere, etwa durch politische Propaganda, durch Konsum und Werbung im Neoliberalismus, eingeschlossen werden. Der Widerspruch und der Kampf gegen alle Formen des Rechtsradikalismus (AFD, FPÖ, Le Pen, usw.) und Antisemitismus muss zum Mittelpunkt nicht nur unserer, sondern der philosophischen Arbeit insgesamt werden. Es gilt, die Demokratie zu retten.

7.
 Die „Entdeckungsreisen“ der Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phien können angestoßen werden durch explizit philosophische Texte, aber auch durch Poesie und Literatur, Kunst und Musik, durch eine Phänomenologie des alltäglichen Lebens, durch die politische Analyse der vielfachen Formen von Unterdrückung, Rassismus, Fundamentalismus, Kapitalismus. Mit anderen Worten: Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phie findet eigentlich immer – oft umthematisch – in allen Lebensbereichen statt.

8.
 Wo hat unser religionsphilosophischer Salon seinen „materiellen“ Ort? Als Treffpunkt, als Raum, eignet sich nicht nur eine große Wohnung oder der Nebenraum eines Cafés, sondern auch eine Kunst – Galerie. In den vergangenen 7 Jahren fanden wir in der Galerie „Fantom“ in Charlottenburg freundliche Aufnahme. Zuvor in verschiedenen Cafés. Kirchliche Räume, Gemeinderäume etwa, sind für uns keine offenen und vor allem keine öffentlichen Räume.

9. 
In unserem religionsphilosophischen Salon sind selbstverständlich Menschen aller Kulturen, aller Weltanschauungen und Philosophien und Religionen willkommen. Unser Salon ist insofern hoffentlich ein praktisches Exempel, dass es in einer Metropole – wie Berlin – Orte geben kann, die auch immer vorhandenen „Gettos“ überwinden.

10.
 Darum haben wir in jedem Jahr im Sommer Tagesausflüge gestaltet, mit jeweils 10 – 12 TeilnehmerInnen: Etwa nach Erkner (Gerhart Hauptmann Haus), Karlshorst (das deutsch-russische Museum), Jüterbog als Ort der Reformation, das ehem. Kloster Chorin, Frohnau (Buddhistisches Haus), das Dorf Lübars… Außerdem gestalteten wir kleine Feiern in privatem Rahmen anlässlich von Weihnachten. Auch ein Kreis, der sich mehrfach schon traf, um Gedichte zu lesen und zu meditieren, hat sich aus dem Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon entwickelt. Aber alle diese Initiativen waren (und sind wohl) mühsam, u.a. auch deswegen, weil letztlich die ganze Organisation von den beiden Initiatoren – ehrenamtlich selbstverständlich – geleistet wurde und wird. Das ist der Preis für eine völlige Unabhängigkeit.

11.
 Anlässlich der „Welttage der Philosophie“, in jedem Jahr im November von der UNESCO vorgeschlagen, haben wir größere Veranstaltungen mit über 60 TeilnehmerInnen im Berliner AFRIKA Haus gestaltet, etwa mit dem Theologen Prof. Wilhelm Gräb, dem Theologen Michael Bongardt. Der Berliner Philosoph Jürgen Große hat in unserem Salon über Emil Cioran gesprochen, der Philosoph Peter Bieri diskutierte im Salon über sein Buch „Wie wollen wir leben?“, die Politologin Barbara Muraca stellte ihr Buch „Gut leben“ vor, Thomas Fatheuer von der Heinrich – Böll- Stiftung vertiefte das Thema; der evangelische Pfarrer Edgar Dusdal (Karlshorst) berichtete über seine Erfahrungen in der DDR; der Theologe der niederländischen Kirche der Remonstranten, Prof. Johan Goud (Den Haag), war zweimal bei uns zur Diskussion, öfter dabei waren Dik Mook und Margriet Dijkmans-van Gunst aus Amsterdam…

12.
 Es ist uns leider deutlich, dass innerhalb der philosophischen Studiengänge an Hochschulen und Universitäten nicht im entferntesten daran gedacht wird, auch das Berufsbild eines Leiters, einer Leiterin besser „Inspiratorin“ philosophischer Salons zu entwickeln. Damit PhilosophInnen freilich ,als Salonnières arbeiten können, müsste die Kulturpolitik entsprechend handeln. Aber die interessiert sich offenbar absolut vor allem für die so genannte Hochkultur der Oper und der Theater, nicht aber für eine Form der „Basis-Philosophie“ als Möglichkeit, vor Ort unter den vielfältigen Menschen tiefere Kommunikation zu ermöglichen.
Eigentlich bräuchte es etwa in Berlin in jedem Stadtbezirk mindestens einen philosophischen Salon, besser noch ein philosophisches „Haus“ mit öffentlich zugänglicher kleiner Fach – Bibliothek , Lesezimmer, Meditations- Denk-Raum und Tee/ Kaffee-Stube.Viele leerstehenden Kirchen könnten entsprechend umgestaltet werden. Dass dort auch philosophisch – literarische Debatten oder Diskussionen zu Grundfragen der Politik, der Kunst und Musik und Spiritualität stattfinden können, ist keine Frage.

13.
 Die Bilanz: Einige wenige Interessenten außerhalb von Berlin haben die Idee des religionsphilosophischen Salons aufgegriffen. Aber wir können nicht sagen, dass etwa im kirchlichen Bereich, evangelisch wie katholisch, die Idee des freien und undogmatischen und offenen Salon-Gesprächs aufgegriffen und realisiert wurde.
Je mehr Christen aus den Kirchen austreten, um so ängstlicher und dogmatischer werden die Kirchen(führer), also auch ihre Pfarrer usw. Der Weg der Kirche in ein kulturelles Getto scheint vorgezeichnet zu sein, zumindest für die katholische Kirche. Tatsächlich haben sich über all die Jahre unserer Arbeit sehr sehr wenige “Vertreter” der großen Kirchen für unsere Initiative überhaupt interessiert. Wir haben diese Ignoranz auch als Freiheit erlebt.

14.
 Hinweis zu unseren Themen:
Eine Übersicht unserer Themen im Salon von Februar 2020 bis 2015 finden Sie hier. Die Themen von 2009 bis 2015 werden demnächst dokumentiert. Die religionsphilosophischen und religionskritischen Hinweise von Christian Modehn, publiziert auf der Website www.religionsphilosophischer-salon.de, wurden bisher mehr als 2.300.000 „angeklickt“, was immer das inhaltlich auch bedeuten mag. (Stand 3.2.2025).

15.
 Unser letztes öffentliches Salongespräch vor der Corona – Pandemie fand am Freitag, den 14.Februar 2020 , wie immer um 19 Uhr, statt, über das Thema: “Das Kalte Herz”. Mehr als ein Märchen (von Wilhelm Hauff). „Das kalte Herz“ offenbart die “imperiale Lebensweise”. 22 TeilnehmerInnen waren dabei. Leider mussten wir – wie öfter schon – acht Interessierten absagen, weil der Raum eben klein ist und nur eine überschaubare Gruppe eine Gesprächssituation ermöglicht. Aber das große Interesse, ohne jede öffentliche Werbung, allein im Internet, und ohne jede Finanzierung von außen, ist immer wieder bemerkenswert. Für einige vertiefende Hinweise zur imperialen Lebensweise: Beachten Sie diesen LINK.

Wir haben unsere philosophischen, religionsphilosophischen und theologischen Gespräche im Salon als Ausdruck der Spiritualität der freisinnigen protestantischen Remonstranten – Kirche (in Holland) verstanden. Dabei haben wir, ebenfalls der offenen, freisinnigen Theologie der Remonstranten entsprechend, keine Werbung für diese protestantische Kirche “betrieben”.

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Dieser Hinweis vom 7.2.2023 wurde am 3.2.2025 überarbeitet.

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FUßNOTE 1: 
Gründer und Initiatoren des „Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin“:

Christian Modehn,  1948 in Berlin (Ost) – Friedrichshagen geboren, nach dem Abitur am Goethe – Gymnasium in Berlin – Wilmersdorf, Studium der katholischen Theologie (Staatsexamen nach 6 Jahren Studium in München, St. Augustin bei Bonn und der Philosophie (Magister Artium in München, über Hegel). Christian Modehn arbeitet seit 1973 immer als freier Journalist über die Themen Religionen, Kirchen und Philosophien, für Fernseh- und Radiosender der ARD, sowie früher auch für die Zeitschrift PUBLIK – FORUM: LINK, sowie auch für “Deutsches Allgemeines Sonntagsblatt” (Hamburg), “Informations Catholiques Internationales” (Paris), “de bazuin” (Utrecht)  usw.. Zur Information über einige Hörfunksendungen und Fernsehdokumentationen und zu einigen Buchpublikationen klicken Sie  hier.

Hartmut Wiebus, 1944 in Seehausen/Altmark geboren, hat in Berlin (F.U.) Pädagogik (Diplomarbeit über Erich Fromm) und Psychologie studiert, und vor allem als evangelischer Klinikseelsorger gearbeitet. Er hat u.a. viele unserer Themen angeregt und immer als Moderator die Gespräche begleitet.

Copyright: Christian Modehn und Hartmut Wiebus. Religionsphilosophischer Salon Berlin

„Ohne Erbsünde glauben“. 10 Fragen und Antworten anlässlich einer theologischen Diskussion

Ein Hinweis von Christian Modehn,  am 8. Juni 2017.

Aus aktuellem Anlaß noch einmal am 11.11.2024 publiziert: Weil nicht (nur) Strukturreformen heute als dringende Reformen in der katholischen Kirche gelten sollten, sondern vor allem Reformen der nicht mehr vermittelbaren Dogmen. Zum Beispiel das sinnlose Dogma der Erbsünde. CM.

Siehe auch  “Muss der christliche Glaube Angst machen?” LINK sowie Weiteres zum Thema “Gegen die Erbsünde”:  LINK

1.Frage

Die Lehre von der Erbsünde ist, etwa in der katholischen Kirche, ein Dogma, also eine definierte Glaubenslehre. Kann man sich denn heute von einem Dogma mit dieser umfassenden Lehre befreien?

Ja, kann man und sollte man. Das kann nicht nur der einzelne, aufgeklärt denkende Glaubende, indem er dieses Dogma in dieser Form eben für sich beiseite lässt. Und das tun sehr viele. Die Befreiung von diesem Dogma kann aber prinzipiell auch das katholische Lehramt heute vollziehen. Wenn es denn so viel Vernunft walten lässt und erkennt: Dieses Dogma zur Erbsünde ist nicht Weiterlesen ⇘

Der antiklerikale Papst Franziskus

Ein Hinweis auf die zentrale Theologie von Papst Franziskus
Von Christian Modehn am 29.4.2025.

Papst Franziskus ist bestattet, das Papsttum setzt sich ungebrochen fort. Diese Frage wird nicht verstummen: Was bleibt von Franziskus, wer war er „eigentlich“, vor allem: „Was ist aussergewöhnlich in seiner Theologie?

1.
Hier werden nicht Vermutungen, sondern begründete Kriterien genannt, die für eine zukünftige und umfangreiche, objektive, kirchen – und klerusunabhängige Papst – Franziskus – Forschung hilfreich sein können.

2.
Unser Vorschlag: Man stelle ins Zentrum der Würdigungen die Klerus – kritischen Erklärungen, die Papst Franziskus auch in seinem international verbreiteten Buch „Leben. Meine Geschichte in der Geschichte“ (HarperCollins, 2024) über die, so wörtlich, „Pest“ des „sündigen Klerikalismus“ (S. 256) mitgeteilt hat. Dieser Antiklerikalismus ist ein Zentrum der Theologie von Papst Franziskus.

3.
Wie sich Jorge Bergoglio selbst als Kleriker, als Priester im Jesuitenorden, dann als Erzbischof von Buenos Aires und seit 2013 als Papst (ein „Pontifex maximus“ ist die absolute „unfehlbare“ Spitze der klerikalen Hierarchie) kritisch gesehen hat, ist eine andere, noch offene Frage. Er versuchte wohl als Papst, ein „anderer”, “nicht – klerikaler Kleriker” zu sein.

4.
Genauso bleibt die Frage dringend, warum Papst Franziskus als Theologe, der die „Pest“ des Klerikalismus sah, nicht ganz entschieden den Klerikalismus beseitigt hat, etwa durch Abschaffung des Zölibatsgesetzes. Dass der Klerikalismus, auch als Form der religiösen Überhöhung des Klerus, der Priester durch die Laien auch eine Ursache des sexuellen Missbrauchs durche den Klerus ist, bleibt deutlich.
Die Bevorzugung einer gewissen synodalen Struktur in der katholischen Kirche durch Papst Franziskus ist sicher auch als ein Gegenentwurf zum männlichen Klerikalismus und seiner bisherigen Allleinherrschaft zu bewerten. Aber des Papstes Einsatz für die synodale Struktur blieb unvollständig. Synode im umfassenden Sinne ist immer Praxis einer Demokratie, aber Demokratie will die katholischen Kirche nun überhaupt nicht sein, wie die Päpste selber betonen. Das “innere Drama“ des Papstes Franziskus ist: Ganz offen antiklerikal zu denken, dabei aber selbst Kleriker zu sein und nicht imstande zu sein, die Kirche vom Klerikalismus zu befreien.

5.
Schon die Wahl des Papstnamens Franziskus ist extrem ungewöhnlich und selbst schon antiklerikal. Diese Namens-Wahl verdient viel Aufmerksamkeit. Sie war ja nicht etwa Ausdruck einer plötzlichen Laune. Oder nur Gehorsam gegenüber der Empfehlung des brasilianischen Kardinals und Franziskaners Claudio Hummes, der dem gerade zum Papst gewählten Bergoglio zuraunte: „Vergiß die Armen nicht“ („Leben S. 218).

6.
Bergoglio als Theologe wusste wohl selbst, dass der heilige Franziskus von Assisi, der radikal Arme, der poverello, wie ein zweiter „Jesus – Christus“ bewertet wurde und deswegen bis heute so hoch verehrt wird. Der Titel „zweiter Christus“ wurde Franz von Assisi ja nicht nur wegen seiner Stigmata, Wundmale, gegeben, die Jesu Leiden symbolisieren sollen. Franziskus von Assisi war bekanntlich kein Priester, sondern ein Laie, ein “Laien – Bruder” in einer armen Bruderschaft; er verachtete die Macht des reichen Klerus, auch wenn er sich der Allmacht von Papst Innozenz III. dann doch beugen musste und seine radikale Armuts – Bewegung in einen klerikalen Orden verwandelte.
Im Papstnamen sich mit diesem dann doch bleibend außergewöhnlichen Heiligen zu verbinden, ist zweifellos sehr anspruchsvoll. Kein Papst zuvor wagte es, diesen Namen zu wählen. So wie auch kein Papst es wagte, sich Petrus der Zweite zu nennen. Ob später ein Papst den Mut hat, sich “Franziskus der Zweite” zu nennen? Unwahrscheinlich!

7.
Wollte der Jesuit Kardinal Bergoglio wie ein zweiter Franziskus von Assisi leben? Die radikale Bevorzugung der Armen in der Praxis wie den Äußerungen von Papst Franziskus legen diese Einsicht nahe. Bergoglio hat als Jesuiten – Papst seine Verbundenheit vor allem mit der Spiritualität des Jesuitenordens betont, also vor allem mit dem Geist der Exerzitien des Ignatius von Loyola. Aber die Geschichte des Jesuitenordens ist sicher nicht durch den Begriff “Armutsbewegung” gekennzeichnet.
Nebenbei: Die Verbindung Bergoglios mit den Jesuiten war ja nicht immer konfliktfrei oder gar herzlich, darauf weist der Jesuit Stefan Kiechle sehr allgemein, ohne konkreten Angaben, hin. Siehe FUSSNOTE 1.

8.
Kardinal Bergoglio wusste schon im Konklave genau, was er will, und er sagte das: Während der Beratungen zur Konklave am 9. März 2023 hielt Kardinal Bergoglio ein 3 Minuten dauerndes Statement. Es macht seine antiklerikale Theologie bereits deutlich: Bergoglio kritisiert den Geist des Narzismus unter Klerikern, das „Um sich selbst Kreisen“ der klerikalen Kirche: Wörtlich: Die Kirche sei verdorben vom Ungeist der Mondaneität, also der Liebe zum Extravaganten, Eleganten, Luxuriösen: „Eine mondäne Kirche ist das schlimmste Übel…“ (Leben, S. 215). Eine mondäne Kirche – das ist die Kirche der “herausgehobenen” Männer des besonderen “Klerikerstandes”!

9.
Papst Franziskus verachtete also von Anfang das übliche offizielle traditionsreiche mondäne System der Klerus – Kirche, diese äußere Demonstration von Macht, diese wie Theater Aufführungen routiniert zelebrierten und inszenierten Messen in prächtigen Gewändern und so weiter.
Bei der Auswahl seiner Papst – Kleidung sagte der frisch gewählte Papst angesichts dieser Prunk- Gewänder: “Bloß keinen Karneval machen.“ (FUSSNOTE 2)
Er kleidete sich also nicht wie üblich als Papst, sondern als bescheidener Bischof. Man vergleiche die prachtvolle, traditionelle und traditionalistsiche Kostümierung von Papst Benedikt XVI. und achte etwa auf seine roten Schuhe…Ratzimger fühlte sich offenbar als Hauptfigur in diesem “Karneval”, wie Papst Franziskus sagte, sehr wohl. Man denke an die lustig – zynischen Klerus – Bilder des Films “Roma” von Pasolini.

10.
Seine ersten Worte als Papst waren Ausdruck allgemein- menschlicher Herzlichkeit und Nähe: Papst Franziskus sagte ganz zu Beginn seiner Ansprache, hoch oben auf der Loggia, ganz schlicht, ganz menschlich: “Guten Abend, Brüder und Schwestern!Und zum Schluss: „Gute Nacht und angenehme Ruhe.“ (FUSSNOTE. 3). Historiker werden sich die Mühe machen und die ersten Worte früherer Päpste mit denen von Franziskus vergleichen…

11.
Franziskus wollte nicht im päpstlichen Palast leben! Wenn er dort lebte, müßte er bald zum Psychiater, schrieb er in seiner Geschichte seines Lebens, im Buch „Leben“, (S. 221).
Er wohnte also bescheiden in einem drei Zimmer – Appartement im Haus Santa Marta. Dieser radikaler Wohnortswechsel ist alles andere als banal. Er ist ein deutliches Zeichen: Der Papst lebt bescheiden und Er will unter den Menschen leben, nicht einsam im Palast mit dem Sekretär abends nett plaudern oder fernsehen…

Der nächste Papst wird sich erklären müssen, wenn er wieder im Apostolischen Palast seine Wohnung nehmen sollte. Franziskus hat durch sein Verhalten seine Nachfolger förmlich “unter Druck gesetzt”.

12.
Papst Franziskus liebte die Peripherie mehr als die machtvollen Zentren. Darum besuchte er etwa Bangui in der Zentralafrikanischen Republik, er ermunterte die Menschen in Neu-Guinea, Ost -Timor oder in Ulan Bator in der Mongolei Er wollte dokumentieren: Mit den Menschen am Rande, mit den Vergessenen, den Leidenden, den verhungernden in der kapitalistischen Welt bin ich verbunden. (FUSSNOTE 4)

13.
Noch als Schwer – Kranker hat Franziskus täglich den einzigen katholischen Priester in Gaza – Stadt angerufen und ihm und der kleinen Gemeinde der katholischen Palästinenser seine Solidarität inmitten der Bombardements des Staates Israel dort ausgedrückt. Die Verlassenen, die Bedrohten, die vielleicht bald durch Bomben Umkommenden nicht vergessen: Das ist eine Haltung dieses ungewöhnlichen Papstes.

14.
Und diese Ansprache muss bei allen Analysen zum Thema „Franziskus als Antiklerikaler“ im Mittelpunkt stehen: Seine Weihnachtsbotschaft vor den Kardinälen schon im Jahr 2014! Sie war eine heftige Attacke gegen die versteinerten Mentalitäten des hohen Klerus. Details zu dieser äußerst denkwürdigen und sehr lesenswerten Rede: (siehe FUSSNOTE 5.)

15.
Außerhalb der Klerus – Mauern des Vatikans wollte Franziskus sein Grab haben: Dieses “Ausserhalbsein”, diese Entschiedenheit, nicht im Petersdom bestattet sein, d.h. nicht unter all den vielen anderen Päpsten ein prunkvolles Grabmal haben: Franziskus wollte – antiklerikal – eben dort NICHT hin gehören… Weil er sich als ein ganz anderer, als ein Franziskus, wusste.
Deswegen der bescheidene Grabstein in der Kirche Santa Maria Maggiore mitten in der Stadt Rom. Auf seinem Grabstein steht radikal – einfach nur: FRANCISCUS. (FUSSNOTE 6.)
Die Voraussetzung für diese Entscheidung des Papstes: Alle zukünftigen Generationen sollen wohl immer schon wissen, wer denn dieser Franziskus war, der da ohne den Papst Titel und ohen weitere Daten etc. in der Kirche Santa Maria Maggiore ruht.
Nebenbei: Und Franziskus zwang mit der Wahl seiner Begräbnisstätte die Herren Kardinäle geradezu quer durch die Stadt Rom zu ziehen, nachdem sie das feierliche Requiem auch mit den vielen Ehrengästen und Repräsentanten auf dem Petersplatz zelebriert hatten…und der Weihrauchduft nicht mehr zu spüren war.

16.
Die traditionsreiche Kirche Santa Maria Maggiore hatte Franziskus ausgewählt, weil er offenbar ein heftiger Verehrer Marias, der Mutter Jesu, war. Franziskus war ein Marienverehrer im klassisch- katholischen Sinne. Man wird diese Vorliebe des Papstes für Maria noch weiter studieren müssen. Und man kann als Arbeitshypothese dabei gelten lassen: Er lobte Maria ganz klassisch “orthodox” als „die Mutter Gottes“,. Vielleicht hatte er aber auch – gar nicht so “orthodox” – eine weibliche Gottheit vor Augen und im Sinn: eine weibliche Gottheit Maria als Kontrast zur rigorosen strengen männlichen klerikalen Welt der männlichen Gottesbilder…Deswegen schätzte und förderte er auch die Volksreligion mit den Marienkulten in Argentinien und weltweit.

17.
Aus dieser klassischen Frömmigkeit, die manchmal zu fundamentalistischen Auslegungen bei ihm führte, etwa sein sehr häufig ausgesprochener Glaube an den real existierenden Teufel, zog Franziskus aber deutlich politische Konsequenzen, antikapitalistische Konsequenzen.  Man wird in Zukunft deutlich machen: Da war ein Papst, der politisch zweifellos links dachte und auch so lebte. Der aber diese Praxis herleitete aus einem unmittelbaren Ernstnehmen etlicher Texte der Bibel.

18.
Die Energie von Franziskus zugunsten einer nicht mehr klerikal dominierten Kirche erscheint dann doch immer gebrochen: Er blieb wirklich auf halben Wege stehen mit seinen radikalen Ideen: Er war dann doch im letzten überzeugt, dass diese katholische Kirche, so wie sie ist, von Gott selbst so gewollt ist. Solange man das glaubt, wird es keine grundlegende Reformation der katholischen Kirche geben, trotz aller antiklerikalen Statements. Einigen Frauen, Ordensfrauen, gab Franziskus mehr Entfaltungsmöglichkeiten in der Administration der Kirche: Zu geistlichen Ämtern der Diakoninnen oder Priesterinnen wollte er sie nicht zulassen. Also sollen dann doch die Männer, die Kleriker, weiterhin unter sich bleiben? Sah der antiklerikale Papst Franziskus diesen Widerspruch?

19.
In jedem Fall ist es ein Fehler der Papst-Franziskus Gegner, wenn nicht Papst Franziskus – Feinde, jetzt ein bißchen wohlwollend zu behaupten: Franziskus war halt „nur“ein Seelsorger, wie dies etwa der reaktionäre Kardinal Müller unternimmt. (FUSSNOTE 7.)  Allein die Tatsache, dass ein Papst persönlich und öffentlich es wagt, antiklerikale Statements zu äußern, muss man als sensationell, theologisch als „gewaltigen Durchbruch“ durch versteinerte Mentalitäten bezeichnen. Dies bleibt eine außergewöhnliche Leistung des Theologen Franziskus. Er war gewiss Seelsorger, aber eben nicht nur, wie Müller behauptet. Er war ein Theologe, der den Klerikalismus als Pest, so wörtlich, wenigstens erkannt hatte und dies auch sehr laut sagte.

Aber eine Pest besiegt man mit einem radikalen Heilmittel, das die Pest vertreibt, zum Verschwinden bringt. Das wollte Franziskus dann doch nicht. Das Heilmittel wäre: Ende des Klerus, Gleichheit aller Gläubigen, “allgemeines Priestertum”, wie es im Neuen Testament heißt, aber für alle real! Das wäre eine dringende Reformation der katholischen Kirche. Und eine Reformation ist bekannlich etwas ganz anderes als “Reformen” oder gar “Reförmchen”, an die sich die Katholiken schon so gewöhnt haben. Aber selbst die Reförmchen gelingen kaum .. wegen der bleibenden Klerusherrschaft.

Fußnote 1:
„Papst Franziskus’ Verhältnis zum Jesuitenorden war komplex. Seine Zeit als Provinzial in Argentinien endete mit einem distanzierten Verhältnis zwischen ihm und seinem Orden. Solange er Erzbischof von Buenos Aires war, blieb sein Verhältnis zur Ordenskurie in Rom gespannt. Nach seiner Papstwahl wurde deutlich, dass es wohl in den Jahren zuvor schon Klärungen und Versöhnungen gegeben hatte. Sehr schnell etablierte sich ein unkompliziertes, gegenseitig wertschätzendes und herzliches Vertrauen, das auch das Verhältnis des Ordens zur vatikanischen Kurie nachhaltig entspannte.“ Stefan Kiechle SJ, Stimmen der Zeit, April 2025, https://www.herder.de/stz/online/neuer-stil-zum-tod-von-papst-franziskus/

Fußnote 2:
https://www.tagesspiegel.de/plus/das-asthetische-vermachtnis-von-franziskus-schluss-mit-dem-karneval-13593193.html

Fußnote 3:
https://bistum-regensburg.de/news/zehn-jahre-papst-franziskus-erste-ansprache

Fußnote 4:
https://de.wikipedia.org/wiki/Auslandsreisen_von_Papst_Franziskus

Fußnote 5:
   „Bei seiner alljährlichen Weihnachtsansprache vor der vatikanischen Kurie, den Leitungs- und Verwaltungsbehörden der katholischen Kirche, hat Papst Franziskus deutliche Worte gefunden. Er zählte insgesamt 15 “Kurienkrankheiten” auf, die zu einer “mentalen und spirituellen Erstarrung” führen. Exhibitionismus, Karrieremacherei, Arroganz, Hartherzigkeit und Geschwätzigkeit seien eine Gefahr, nicht nur für die Kurie, sondern für jeden Christen. Er forderte die Kirchenverwaltung zu Selbstkritik auf. “Eine Kurie, die sich nicht selbst kritisiert, auf den neusten Stand bringt und verbessert, ist ein kranker Körper”.”Geistliches Alzheimer” und “Terrorismus des Geschwätz“ Als eine der Krankheiten benannte Franziskus das “geistliche Alzheimer”, welches dazu führe, dieBindung an Christus und die Heilsgeschichte zu vergessen und das eigentliche Ziel des Kirchendienstes aus den Augen zu verlieren. Er prangerte den “Terrorismus des Geschwätz” an und verglich den Verwaltungsapparat der katholischen Kirche – mit seinen Intrigen und Affären – mit einem “Orchester, das schief spielt”. Außerdem warnte er vor Untertänigkeit und Opportunismus.(Quelle DW: https://www.dw.com/de/papst-benennt-15-kurienkrankheiten/a-18146698. der vollständige Text der Weihnachtsansprache: https://www.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2014/december/documents/papa-francesco_20141222_curia-romana.html.

In seinem Buch „Leben“ hat Papst Franziskus erneut die „Pest des Klerikalismus“ benannt (S. 256 f.). „Wir müssen die Geißel des Klerikalismus bekämpfen. Sie ist eine Perversion, die das Potential hat, die Kirche zu zerstören, weil sie die Laienbewegung nicht fördert, sondern tötet, indem sie die Macht über sie (die Laienbewegung, CM) ausübt.“ ( S. 257). Bemerkenswert ist: Der Papst denkt dann noch im Gegenüber von Priestern und Laien, aber er meint sozusagen entklerikalisierte Kleriker.

Fußnote 6:
https://www.katholisch.de/artikel/61175-grab-von-franziskus-in-santa-maria-maggiore-fuer-besucher-zugaenglich

Fußnote 7:
https://www.vaticannews.va/de/kirche/news/2025-04/papst-franziskus-kardinal-mueller-kirche-papst-pfarrer-pastoral.html:

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

 

 

 

Wolfram Weimer und sein Gott: Eine Rezension

Für die Zeitschrift “Publik Forum” hat Christian Modehn  im Oktober 2021 eine – bei Publik Forum übliche – kurze Rezension geschrieben zum Buch von Wolfram Weimer “Sehnsucht nach Gott”, erschienen im katholischen Bonifatius-Verlag. Das Buch hat 128 Seiten und kostet 15 €:

Der Autor Wolfram Weimer will mit seiner „Streitschrift“ die konservative Ideologie durch die Religion beleben.

Er setzt dabei abstrakt einen Gott voraus, an dem – seiner Meinung nach – zu zweifeln Unsinn ist.

Dieser Gottesglaube soll als „Deutungsmacht“ das politische Handeln in der Demokratie bestimmen.

Religionssoziologen beweisen den Rückgang der Kirchenbindung. Diese Fakten lässt der Autor nicht gelten, er erhofft sich voller Sehnsucht eine „neo-religiösen Bewegung“ der “Gott-gläubigen.”

Der theologisch inkompetente Publizist Weimer hat einst das konservative Magazin „Cicero“ gegründet, jetzt ist er Chef seiner „Media Group“: Sie hat ihren „Freiheitspreis“ im April 2021 ihrem Freund, dem damaligen österreichischen Kanzler Sebastian Kurz, verliehen. Für diese Kreise ist „Gott“ eine Chiffre für ein verstaubtes Ideal-Bild der Familie.

Von der Bibel ist in Weimers Buch fast keine Rede, von prophetischer Kritik gar nicht.

Wer wirklich Sehnsucht nach Gott hat, braucht dieses Buch nicht.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

 

Die richtige Erkenntnis … und nichts wird besser?

Über das schwierige Verhältnis von Philosophie und Praxis
Ein Hinweis von Christian Modehn am 25.4.2025

1.
Wie kommen wir von unserer Erkenntnis, etwa einer Evidenz, wie sie sich im „Kategorischen Imperativ“ ausdrückt, zur Praxis, zur Tat, die der Erkenntnis entspricht? Also von der Erkenntnis zu einem neuen Lebensentwurf und einer neuen Praxis unseres Lebens?

2.
Diese wichtige Frage wird auch in der Psychologie und der Gehirnforschung diskutiert. Dazu später ein Hinweis. Und in den christlichen Theologien wird auf unser Thema nach wie vor die Antwort des Augustinus (und Luthers) verbreitet: Es sei die Erbsünde, die den Menschen unfähig mache, das Richtige und Gute, das Erkannte, dann tatsächlich auch zu tun. Allein die göttliche Gnade könne zum richtigen Handeln führen. Der Mensch als „natürlicher“ Mensch sei hilflos, deswegen bleibe auch in der gestalteten Welt – letztlich – alles beim Alten. Weil aber die Erbsünde, historisch und theologisch nachgewiesen, eine klerikale Ideologie ist, lassen wir diesen Aspekt hier beiseite. LINK.

3.
Viele Politiker haben zwar die Demokratie als Theorie im Kopf. Sie folgen dieser aber nicht umfassend in ihrer politischen Praxis. D.h.: Sie reden von Demokratie, wollen aber – verschwiegen – etwas ganz anderes, etwa: sich bereichern, ihr Ego stärken, Karriere machen, das Gemeinwohl ignorieren. Die rechtsextremen Feinde der Demokratie haben wenigstens diese eine „Tugend“: Sie sagen offen, dass sie die Demokratie zerstören wollen. Dieser Wahn führt unter Demokraten heute aber nicht zu wirksamen Attacken gegen Rechtsextreme. Die Lust am Untergang der Demokratien verbreitet sich wie eine Epidemie. Aber das ist auch ein anderes Thema.

4.
Die geistig – seelische Erstarrung als Ursache der Abwehr richtiger Erkenntnisse findet sich bei sehr vielen Menschen. Das, was ider Vernunft als das Bessere und Richtige aufscheint, steht in Konkurrenz zum dem, was wir immer schon tun, aus Gewohnheit, Tradition, geistiger Nachlässigkeit. Bei unserem Thema geht es also auch um die Konkurrenz zweier Lebensentwürfe: Der eine Lebensentwurf ist der immer schon gelebte, angeblich bewährte, angeblich vorteilhafte. Der andere Lebensentwurf hat nur den Charme einer Verheißung, nämlich besser, richtiger, vernünftiger zu handeln und nicht nur all dieses „Schöne und Wahre“ zu denken. Es geht also um die eine Forderung: Lass das Alte hinter dir und tu das Neue, die Verheißung des Besseren und Vernünftigen. Diese Forderung kann entstehen, weil einige die alte, fixierte Lebenspraxis selbst als falsch, als zu eng erleben und dabei gedanklich dem Überschreiten des Gegebenen folgen. Transzendieren nennt man das. Aber: Nicht alles Neue ist automatisch das Bessere, sondern nur das Vernünftige, das Humane. Es gibt Normatives in dieser Debatte. Nicht jede Alternative ist richtig und gut, siehe die AFD, die das wichtige Wort Alternative in den Schmutz zieht. AFD sollte eher AZD heißen: „Alternative zur Demokratie.“

5.
Ein Blick in die Geschichte der Philosophie: Die hellenistischen Philosophen haben in ihren Werken und ihrem Leben explizit „Anleitungen zur individuellen Lebensbewältigung“ gegeben, also Hinweise zu einem besseren, wahren Leben, wie Heinrich Niehues – Pröbsting, Spezialist für hellenistische Philosophie, gezeigt hat. (Fußnote 1). Die hellenistischen Philosophen wollten also in diesem „Reformprogramm“ eine Art „philosophische Psychotherapie“ fördern als Voraussetzung für eine neue Praxis. Diese Erkenntnis verdankt sich dem großen Philosophen und Philosophiehistoriker Pierre Hadot (1922 – 2010), er hat in zahlreichen wichtigen Studien den praktischen Charakter der hellenistischen Philosophie hervorgehoben: Philosophien seien keine theoretischen, abstrakten Konstrukte, sondern „Anleitungen zu humanen Lebensformen.“ „Im Hellenismus versteht sich die Philosophie der Hauptsache nach als Anleitung zum glücklichen Leben, sie ist Kunst des Lebens, Kunst als ein Können, das auf Wissen beruht..“, schreibt Heinrich Niehues – Pröbsting im Sinne Pierre Hadots. Nebenbei: Von Hadot ließ sich auch Michel Foucault inspirieren.

6.
Philosophie als Therapie verstehen: Viele Philosophen vom 3. Jahrhundert vor Christus bis ins 4. Jahrhundert nach Chr. waren überzeugt: Es gibt eine „Krankheit der Seele“: Und die sei bedingt „durch falsche Vorstellungen, die zu den beunruhigenden Affekten führen.“ Die falschen Vorstellungen entstehen etwa in dem Unvermögen, bei der Macht der Gefühle Wichtiges und Unwichtiges im Leben nicht unterscheiden zu können. Auch die Angst erzeuge falsche Vorstellungen, oder die Meinung, „man bedürfe des Luxus oder der Erfüllung seiner eitlen Ansprüche auf Anerkennung“ (Fußnote 2). Vor allem Epikur lehrte die Kraft vernünftiger Unterscheidung: Er empfiehlt die Selbstgenügsamkeit.
Für die Stoiker gilt als philosophische Therapie: „Die Affekte sollen erst gar nicht aufkommen. Die Stoiker sind von der Macht der Vernunft über die Affekte grundsätzlich überzeugt.“

7.
Es ist für diese Philosophen die Macht der Vernunft und des Arguments, die einen Weg weist in ein glücklicheres Leben: das ist ja das Ziel der „individuellen philosophischen Lebensbewältigung.“ (Fußnote 3).

8.
Die Pythagoreer entwickelten als eine der wichtigen „philosophischen Schulen“ eine Art „Katechismus“, der die praktischen Lebensregeln zusammenfasste. Dazu gehörten auch Speisevorschriften (vegetarische!) oder Empfehlungen für die Gestaltung der Sexualität. Am wichtigsten ist für Pythagoreer das Gebot, täglich eine „Selbstprüfung“ zu gestalten: „Worin fehlte ich? Was war meine richtige Tat? Was war Unterlassung? Wenn du Schlechtes tatest, dann schilt dich, wenn du Gutes tatest, dann freu dich.“ (Fußnote 4).
Die Stoiker übernahmen diese Selbstprüfung als wichtige Übung, sie sollte zu einer neuen glücklicheren Lebensform führen. Nebenbei: Die Christen ließen sich davon anregen und haben dann die Gewissenserforschung eingeführt, die zur Erkenntnis von Sünden anregte und zur Praxis der Beichte ihren Höhepunkt (und Abschluss) fand.

9.
Um die philosophische Erkenntnis des Guten im Geist fest zu verankern, empfahlen einige „Schulen“, wie die Stoiker und die Epikureer, das Auswendiglernen zentraler philosophischer Erkenntnisse der eigenen „Schule“. Man könnte sagen: Eine Art Verhaltenstherapie zur vernünftigen Gestaltung des eigenen Lebens war intendiert. Damit verbunden war eine starke Forderung der eigenen gedanklichen Leistung, sie sollte dann den Willen bestimmen und tatsächlich eine neue Praxis im Leben einleiten.
Aber der einzelne fand in den philosophischen Schulen der Epikureer oder Stoiker praktische Hilfe, neue Wege zu gehen, vor allem durch den gedanklichen Austausch oder das lebendige Vorbild der anderen, die zur Schule, man könnte sagen, zur Gemeinde“, gehörten. Ohne die gleichgesinnten anderen, die Mitglieder der „Gemeinde“, kann eine neue, bessere Lebenspraxis nur schwer gelingen.

10.
Ein Stück Wirkungsgeschichte: Viele christlichenMönche und Einsiedler,, Wüstenväter genannt, übernahmen vom 3. bis 6. Jahrhundert auch diese aus der Philosophie stammende Übung der häufigen Wiederholung bestimmter Sätze der Weisheit, die sie natürlich der Bibel entnahmen. Bis heute wird in der christlichen Spiritualität diese Übung des häufigen Aussprechen von Weisheit – Sätzen während des Tages „Ruminatio“ genannt, das lateinische Verb ruminare bedeutet tatsächlich „wiederkäuen“. „Das Wiederkäuen gab den Mönchen die Gewissheit, in der Gegenwart Gottes zu leben und sich dieser Gegenwart bewusst zu sein, ohne lange Gebets – und Meditationszeiten dafür einzuplanen“, schreibt der katholische Theologe Thomas Dienberg in seinem Buch „Spirituelle Atempausen“, KBW Verlag 2025. Er empfiehlt heute diese Übung den Christen. Sie soll zur „christlichen Alltags – Praxis“ anleiten. Ob dabei spürbar und sichtbar neue Lebensentwürfe entstehen, die auch politisch wirksam sind, ist eine offene Frage.

11.
In den hellenistischen Philosophien gilt die Überzeugung: Soll es zu einer Verbesserung der politischen und sozialen Verhältnisse kommen, dann muss zunächst und vor allem der einzelne Mensch den eigenen Geist, die eigene Vernunft, kennen und pflegen. Bevor es zu Strukturveränderungen kommt, muss der einzelne und mit ihm die Gruppe, die „Gemeinde“, selbst das gute und wahre moralische Leben leben. Nur durch die Vernunft erneuerte Menschen können die neue Gesellschaft gestalten.
Eine Erinnerung an die jüngste Vergangenheit: Der Kommunismus in Russland ist sicher auch daran gescheitert, dass die Akteure, Herrscher und Funktionäre niemals an der eigenen seelischen und geistigen Verfasstheit und Mentalität kritisch gearbeitet haben. Dazu weitere Überlegungen in Fußnote 7.

12.
Die Forderung, Philosophie als Therapie zu gestalten, gilt auch für zeitgenössische Philosophen des 20.Jahrhunderts, neben Karl Jaspers auch für Ludwig Wittgenstein. Seine Spätschriften sind dabei wichtig. Bekannt ist sein Beispiel von der „Fliege, die im Fliegenglas gefangen ist und keinen Ausweg findet.“„Was ist dein Ziel in der Philosophie“, fragt Wittgenstein in den „Philosophischen Untersuchungen“, § 309. Seine Antwort: „Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zeigen.“ Philosophie sollte hilfreiche Auswege zeigen … um besser, d.h. wahrer und frei zu leben! Darin sind durchaus Anklänge an die genannten Überzeugungen hellenistischer Philosophen deutlich. In seinen „Philosophischen Untersuchungen“ (§ 133) sagt Wittgenstein: „Es gibt nicht eine Methode der Philosophie, wohl aber es gibt Methoden, gleichsam verschiedene Therapien.“ Ähnlich auch die kurze Erkenntnis in § 255 : „Der Philosoph behandelt eine Frage: wie eine Krankheit.“ Philosophieren kann heilsame Entwicklungen freisetzen. Diese Verfehlungen im Leben sind vor allem begründet im falschen Gebrauch der Sprache und der Grammatik.

13.
Pierre Hadot hat darauf hingewiesen, dass Wittgenstein sein eigenes radikales Fragen und Denken niemals als eine Art Schlusspunkt verstanden hat. Es gibt keine absolute Wahrheit, kein absolut gültiges Heilmittel. Und darin ist wohl auch das stets Unfertige jeder neuen Lebenspraxis begründet: Weil es denn vollkommenen Gedanken, die vollkommene Einsicht nicht gibt und geben kann, kann es auch bei allem guten Willen keine vollkommene neue Praxis geben. Hadot spricht von dem „inachèvement“, der Unvollendetheit, des philosophischen Denkens, die Auswirkungen auf die Praxis sind entsprechend: Sie ist unvollendet und unvollständig. Es ist also die Unvollkommenheit des einzelnen, einen vollständigen oder sogar vollkommenen Gedanken zu fassen entscheidend. (Hadot, Fußnote 5.)
Aber diese unüberwindbare Einschränkung darf niemals die Anstrengung verhindern, ein besseres, humaneres Leben zu denken. Und: Durch die Übungen der philosophischen Vernunft können fixierte alte, auch inhumane Einstellungen erschüttert und ansatzweise überwunden werden.

14.
Auf aktuelle Forschungen zum menschlichen Gehirn muss deswegen hingewiesen werden: Der Autor und Philosoph Stefan Klein hat in seinem Buch „Aufbruch“ (Fußnote 6) gezeigt: „Der Unwille zur Veränderung (der Lebenspraxis) wurzelt im Gehirn. Weltbilder, die unser Handeln bestimmen, folgen nicht Argumente; ihre Anziehungskraft beruht auf der Ökonomie der neuronalen Datenverarbeitung. Entscheidend ist die kognitive Flexibilität“.
Trotz dieser Dominanz „neuronaler Strukturen“, die eine Veränderung der Lebenspraxis behindern, ist auch die Macht der Ideologien zu respektieren. Ideologien können antihumane (etwa rassistische) Vorstellungen sein oder eben auch humane, etwa zur Solidarität auffordernde Ideen. Die Ideologien erscheinen oft in Gestalt von bestimmten Weltbildern. Und sie können den Geist der
Menschen fixieren und Veränderungen abwehren. Dies ist die wichtige Erkenntnis der Forschungen zum Gehirn: „Weltbilder (Ideologien) spiegeln nicht nur, sie bestimmen auch, wie ein Gehirn funktioniert… Ideologien zielen auf die Transformation der menschlichen Natur.“

15.
Das Bemühen der Philosophen, Formen humaner Lebenspraxis zu beschreiben und vorzustellen und Erkenntnisse in Praxis zu führen, bleibt nach wie vor gültig. Die richtigen Ideen können zu „einer gewissen Transformation der menschlichen Natur“ (Stefan Klein) beitragen. Die Gene sind also nicht allmächtig. Der alte Trott der unreflektierten, angeblich etablierten und fixierten Lebensführung kann unterbrochen und korrigiert werden: Durch philosophische Argumente.

16.
Natürlich zeigt sich in diesem Denken ein Rest von Optimismus, der sich dem Geist der philosophischen Aufklärung verdankt.

………………………….

Fußnote 1: Heinrich Niehues – Pröbsting, „Die antike Philosophie“, Fischer Taschenbuch, 2004. S. 188.

Fußnote 2: ebd. S. 189 und 190.

Fußnote 3: ebd. S 187.

Fußnote 4:
 Ein Zitat aus dem grundlegenden Werk von Paul Rabbow, bei Niehues – Pröbsting, S.155, dort Fn 246).

Fußnote 5: Pierre Hadot, „La Philosophie comme manière de vivre“, Editions Albin Michel, Paris. 2001, S 192.

Fußnote 6: 
Stefan Klein, „Aufbruch. Warum Veränderung so schwerfällt und wie sie gelingt“, S. Fischer Verlag, 2025. Die Zitate von Stefan Klein sind dem Tagesspiegel, Ausgabe vom 14.4.2025, Seite 10-11 entnommen.

Fußnote 7:
Die Sowjet – Kommunisten etwa haben den alten (etwa aus der Zarenzeit stammenden) Ungeist der Gewalttätigkeit, der Verachtung von Mehrheitsentscheidungen, von Minderheiten usw. nicht aufgegeben können und wollen. Die Utopie eines eigentlich nur human zu denkenden Kommunismus blieb für die Führer und ihre Kollaborateure nichts als lügnerische Theorie.
Wer sich das Verhältnis von Theorie und Praxis in der klassischen orthodoxen kommunistischen Partei – Ideologie anschaut: Da wurde von einem einfachen Schritt von der Theorie zur Praxis gesprochen: Etwa: Die in der Theorie – Debatte (am „grünen Tisch“) gewonnenen Parteitagsbeschlüsse sollten unmittelbar als solche von den Werktätigen umgesetzt werden: „Vorwärts mit den Beschlüssen des VII. Parteitages“, hieß es dann. Dabei waren schon die Analysen der Theorie am „grünen Tisch“ der Parteibonzen falsch. Sie ignorierten die geistige Bereitschaft ihrer Untertanen, die Beschlüsse überhaupt ernst zu nehmen, geschweige denn freiwillig zu realisieren…
Eine Theorie kann nur dann Impulse für das Tun, die Praxis geben, wenn sie selbst als Theorie eng verbunden mit der schon vorhandene Praxis der Menschen in der Gesellschaft und im Staat ist. Und von dieser erkannten und gemeinsam kritisierten Praxis können dann neue Wege der Praxis gelingen.

 

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin.

 

Die Papstansprache Ostern 2025: Ausdruck des Elends.

Ein Hinweis von Christian Modehn am 20.4.2025

Eine Notiz am 21. 4.2025: Wir haben diesen Hinweis nach der Urbi – et – Orbi Veranstaltung am Ostersonntag geschrieben und veröffentlicht: Da wusste niemand, dass dieser Auftritt von Papst Franziskus der letzte und seine – von einem Priester verlesene – Osterbotschaft wohl die letzte öffentliche Äußerung ist. Uns hat die Osterbotschaft des elenden Papstes bewegt und zu kritischem Nachdenken geführt, das wir dann am Ostersonntag, 20.4.2025, veröffentlichten. Unsere Kritik an solchen allgemein gehaltenen, meist nur floskelreichen Papst – Ansprachen zu Ostern oder Weihnachten bleibt bestehen, trotz einer gewissen Trauer über den Tod dieses zweifellos ungewöhnlichen und in mancher Hinsicht mutigen Papstes Franziskus: Er war kein Freund des Klerus und seiner Macht, er sagte das öffentlich von Anbeginn seines Pontifikates! LINK Aber er hatte nicht die Kraft, den Klerus einzuschränken und das verheerende Zölibats-Gesetz  abzuschaffen. Die Macht dazu hätte er als Papst gehabt. Aber diese Macht hat er – aus Angst?, vor wem ?, nicht genutzt. Und den Frauen wollte er stur und fundamentalistisch nicht umfassend gleiche Rechte in der Kirche geben. Insofern bleiben die Erinnerungen an Papst Franziskus dann doch düster. Es ist halt nach wie vor ein Elend mit dem Papsttum… Ob der nächste Papst dieses Elend beseitigt, ist ungewiss… CM.

Am Ostersonntag 20.4.2025 geschrieben und veröffentlicht: 

1.
Papst Franziskus, Ostern 2025:
Er kann fast nicht mehr sprechen,
sich nicht mehr bewegen,
lässt seine Botschaft verlesen,
schaut stumm auf die Menschen des Peters-Platzes:
Ein Bild des Erbarmens. Des Elends.
„Urbi et Orbi“: Nur ein mühsamer Hauch. Der hilflose Pontifex maximus.
Muss das sein? Eine unerhörte Frage: Unsere Antwort: Nein. Das muss nicht sein.
Manche frommen Leute und auch Fundamentalisten werden hingegen jubeln: „So ein standhafter Schwerkranker, der sich auch noch öffentlich zeigt. Er ist wie der Apostel Paulus, der da sagte: Im Leiden bin ich groß“. Ähnliche Worte des Neuen Testaments werden gern zitiert, wenn sich katholische Kleriker, Päpste zumal, unersetzlich finden.

2.
Traurige Ostern 2025:
Nicht nur, weil ein Schwerkranker seine Botschaft verlesen ließ. Diese selbst ist hilflos und voller allgemeiner Sprüche. Es sind eher Gemeinplätze für eine schwerkranke, hilflose Welt voller Gewalttäter. Da hätte eine gewagte, humane Botschaft mit konkreten Forderungen gut getan. Warum nicht eine klare Zielvorstellung formulieren: Etwa: Die katholischen Gemeinden sollen Orte des Friedens und des Dialogs werden!
Aber nein: Wie immer beim „Urbi et Orbi“: Moralische Gemeinplätze, das tausendmal, schon von früheren Päpsten, ausgesprochene Bedauern: dass da und dort und nun überall und immer mehr Krieg und Hunger und Elend herrschen. Die Namen der verantwortlichen Übeltäter werden vom Päpsten aus diplomatischen Gründen niemals genannt: Päpste sind ja auch Staatschefs, da muss man vorsichtig sein und das Wohl der eigenen Kirche bedenken… Deswegen, aus diplomatischen Gründen, kein präzises Wort gegen den Kriegsherrn Putin, offenbar will der Papst es sich auch nicht mit dem Patriarchen und widerlichen Kriegsideologen Kyrill von Moskau verderben. Der Papst liebt ja so die Orthodoxie… Bloß keine Namen nennen, bloß nicht konkret werden!

3.
Wie erbärmlich die päpstlichen Worte zur Ukraine: „Möge der auferstandene Christus der gepeinigten Ukraine das österliche Geschenk des Friedens zuteilwerden lassen und alle Beteiligten ermutigen, ihre Bemühungen um einen gerechten und dauerhaften Frieden fortzusetzen.“ Erschreckend, diese päpstliche Friedenspolitik der leeren frommen Sprüche. „Bla Bla“, muss man sagen.
Auch kein Wort über den sich zum Faschisten entwickelnden Mister Trump, kein Wort über die miserablen sozialen Zustände im Heimatland Argentinien unter dem Libertären Milei und so weiter…

4.
Natürlich: Papst Franziskus ist nicht nur sehr alt, er ist auch schwer krank, wenn auch nun ständig „auf dem Weg der Besserung“, wie es offiziell jetzt immer heißt.
Natürlich: Kein vernünftiger Mensch will einen reaktionären Papst als Nachfolger. Aber es ist wahrscheinlich kein Zeichen der Heiligkeit für einen „heiligen Vater“, in einer Welt voller Gewalt, voller Diktatoren und Gewaltherrscher in den USA wie in Russland und Iran und China und Israel und so weiter und so weiter, an seinem Amt als Schwerkranker festzukleben und allgemeine fromme Sprüche zu Ostern in die Welt zu senden. Ein heiliger Vater sollte auch ein politischer Prophet sein.  Aber tatkräftige Propheten waren die Päpste eher sehr selten. Ob der Nachfolger von Papst Franziskus vieles besser und vernünftiger macht, ist auch unwahrscheinlich in dieser abgeschotteten Welt der Kleriker. Ein Elend ist es mit dem Papsttum, mit der ewigen Klerusherrschaft…

5.
Diese gut gemeinte, aber inhaltlich leere und schlicht –  fromme Papstrede 2025 werden einige mit einem weinenden Auge hören und lesen, Worte von „diesen armen Greis, der sich so viel Mühe gibt.“
Die frommen Massen auf dem Petersplatz haben ihrem Idol zugejubelt, in die Höhe, förmlich und fröhlich – verzückt in den Himmel geschaut, um ihn, den „heiligen Vater“ auf der Loggia hoch oben zu sehen… Oft hatten die Frommen und die Schaulustigen eine Flagge ihres Landes in der Hand: Ausdruck des katholischen Universalismus oder des katholischen Nationalismus?

6.
Aber es wird noch einige wenige Menschen geben, voller Irritation darüber, dass die katholische Kirchenführung die Botschaft des Evangeliums einfach nicht besser, konkreter, politischer und in prophetischer moderner Sprache sagen kann und sagen will.

7.
Von der theologischen Deutung der Auferstehung Jesu von Nazareth durch die Kirchenführung wollen wir hier eher schweigen. Nur dieses: Warum verbreiten Päpste und Prälaten theologischen Unsinn noch heute : „Das Grab Jesu war leer“? Der Geist eines jeden Menschen erlebt die Auferstehung, nicht der Leib.

Und die Protestanten sind die großen Schweigenden zu allem, was Rom und den Papst und urbi et orbi betrifft. Ökumenische Zusammenarbeit nennt man das.

Die Ansprache des Papstes Ostern 2025: LINK

Die Wahl eines Papstes als sehr winziges Element von Demokratie in der katholischen Kirche:  LINK

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin

Karfreitag: Alles Ewige, alles Wahre ist vernichtet.

Hegels Interpretation des Karfreitag … weltlich, säkular verstanden.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 14.4.2025.

1.
„Gott selbst ist tot“: Dieser provozierende Satz gehört tatsächlich zur klassischen christlichen Spiritualität. Er steht im Zentrum am Karfreitag, beim Gedenken an den Kreuzestod Jesu von Nazareth, der dann freilich in der üblichen, orthodox genannten Formel als „Gottes-Sohn“ gedeutet und verehrt wird.

2.
Wir wollen die spirituelle Erkenntnis Satz „Gott selbst ist tot“ weltlich, also auch politisch, neu verstehen. Damit wollen wir auch der Forderung des Theologen und Nazi – Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer entsprechen: „Wir müssen es riskieren, anfechtbare Dinge zu sagen, wenn dadurch nur lebenswichtige Fragen aufgerührt werden.“ (Brief aus dem Nazi – Gefängnis Tegel am 3.8.1944). Und am 16.7.1944 notierte er die inzwischen bekannte, aber bis jetzt nicht realisierte Forderung einer „nicht-religiösen Interpretation der biblischen Begriffe“…Zu Bonhoeffers Provokationen: LINK.

3.
„Gott selbst ist tot“- dieser Satz ist wohl für klassisch Fromme befremdlich: Denn Gott kann doch gar nicht sterben, behaupten sie. Und darum haben sie den Satz „Gott selbst ist tot“ auch relativiert: Es war ja „bloß“ Gottes Sohn, Jesus Christus, der am Kreuz gestorben ist. Der Kreuzestod Jesu ist eine geschichtliche Tatsache, im Unterschied zur Auferstehung Jesu von den Toten, diese ist kein historisch nachweisbares Faktum.

4.
Wie fanden Christen zu der Erkenntnis „Gott selbst ist tot“? In Zeiten schlimmsten Leidens, der Trostlosigkeit im Dreißigjährigen Krieg, hat der Jesuit Friedrich von Spee (1591-1635) ein Gedicht bzw. Kirchenlied verfasst , die ersten Worte heißen: „O Traurigkeit, o Herzeleid, ist das denn nicht zu klagen! Gottes des Vaters einzig Kind wird zu Grab getragen.“
 Weitergedacht hat der protestantische Pfarrer und Dichter Johann Rist (1607-1667), als er im Jahr 1641 in einer zweiten Strophe den Inhalt radikalisierte: „O große Not! Gottes Sohn liegt tot, am Kreuz ist er gestorben…“.. Das Lied ist Teil des evangelischen Gesangbuchs (von 1993).

5.
Bis heute aktuell interpretiert und gedeutet wurde diese theologische Überzeugung „Gottes Sohn ist tot“ von dem Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831). Und Hegel weist uns den Weg zu einer weltlichen, säkularen Interpretation des Karfreitag – Satzes „Gott selbst ist tot“.

6.
Hegel hat in seinen mehrfach gehaltenen „Vorlesungen zur Philosophie der Religion“ in Berlin (1818-1831) im Blick auf den Karfreitag gelehrt: „Gott ist gestorben. Gott ist tot.“ Und Hegel übersetzt dann den Begriff Gott in weltliche Wirklichkeiten: Hegel fährt fort: „Dieses ist der fürchterlichste Gedanke, dass alles Ewige, alles Wahre nicht ist; dass die Negation selbst in Gott ist; der höchste Schmerz, das Gefühl der vollkommenen Rettungslosigkeit, das Aufgeben alles Höheren ist damit verbunden“ (Suhrkamp, Theorie Werkausgabe, Band 17, S. 291).

7.
Hegel spricht also davon, dass der Tod Gottes (bzw. des Sohnes Gottes) ein Ereignis ist, das als „Aufgeben alles Höheren“ übersetzt wird. Und das heißt konkret: „Alles Ewige, alles Wahre“ ist nicht mehr, es existiert nicht mehr, ist verschwunden, Ewiges und Wahres haben keine Bedeutung. In dieser grundstürzenden Erfahrung des Zusammenbruchs entsteht der „fürchterliche Gedanke und das Gefühl der „vollkommenen Rettungslosigkeit“, wie Hegel sagt. Der Tod Gottes ist also, Hegel folgend, säkular und neu als der Zusammenbruch der humanen Welt zu verstehen.

8.
Karfreitag sollte also der Tag der Besinnung auf den Zusammenbruch der humanen Welt sein. Und dies ist die heutige Weltsituation, die nicht Resultat eines Naturereignisses ist: Es sind vielmehr Menschen, die diesen Zusammenbruch aus freier Entscheidung betreiben: Menschen, die die Klimakatastrophe erzeugen und nicht umfassend korrigieren und bremsen können oder wollen. Es sind Menschen, die Mord und Zerstörung zu ihrem politischen Geschäft machen. Es sind Menschen, die Diktatoren und Autokraten und andere Verbrecher an die Macht wählen, in den USA, in Russland, in Israel, in Ungarn, in Indien und so weiter. Es sind Menschen, die in noch funktionierenden Demokratien die Feinde der Demokratie wählen, etwa die Partei AFD, die Rechtsextremen in Frankreich und den Niederlanden. Es sind Menschen, die als Lobbyisten einflußreich genug sind, um eine Reichensteuer, Millionärs-und Milliardärs-Steuer, politisch zu verhindern. Sie wäre ein Ausdruck der gerechten, d.h. der sozialen Demokratie. Dies wird von sich noch dreist „christlich” nennenden Parteien auch in Deutschland verhindert.

9.
Der Philosoph Hegel hat den Zusammenbruch der humanen Welt, der im Ereignis des Todes Gottes am Karfreitag angezeigt wird, im Rahmen seiner Philosophie dann wieder „aufgehoben“, d.h. in eine positive Denkrichtung verwiesen durch den religionsphilosophischen Gedanken der Auferstehung. Aber Hegel kommt das Verdient zu, überhaupt den Tod Gottes in aller Tiefe gedacht zu haben.

10.
Wichtig ist für uns in dem Versucht einer „weltlichen Interpretation des Karfreitags“: In seiner „Phänomenologie des Geistes“ (1807) bietet Hegel schon eine säkulare, vernünftige und nicht-religiöse Antwort auf die Frage: Wie kann der Mensch dem Tod, in unserem Beispiel auch dem Tod Gottes, begegnen?
In der Vorrede zur „Phänomenologie des Geistes“ (Seite 36 in der Suhrkamp – Ausgabe, Band 3) bezieht sich Hegel auf die Kraft des menschlichen Geistes – auch dem Tod gegenüber. Hegel schreibt: „Nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das den Tod erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes. Der Geist gewinnt seine Wahrheit nur, indem er in der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet. Diese Macht ist der Geist nicht, indem er von dem Negativen wegsieht … sondern der Geist ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei dem Negativen verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die das Negative in das Sein umkehrt.“

11.
Dem Negativen ins Angesichts schauen: Das kann angesichts des genannten „Zusammenbruchs der humanen Welt“ bedeuten: Nicht nur schauen, nicht nur das Elend betrachten, sondern aktiv eintreten für die Rettung der Theorie betreiben, nicht nur ins Ästhetische sich zurückziehen, es geht um aktives „Verweilen“ beim Negativen, dem drohenden Tod. Dieses aktive Verweilen hat dann, wie Hegel schreibt, die „Zauberkraft, das Negative ins lebendiges, konstruktives Sein“ zu verwandeln. Diese Kraft, dem Negativen standzuhalten, kann von Hegel wie eine als Metapher „Zauberkraft“ genannt werden: Aber bei diesem Begriff „Zauberkraft“ spielt nichts Esoterisches , Wunderbares eine Rolle, sondern es wird nur das Überraschende formuliert: Einzig die „verweilende“, kritische Analyse der Verhältnisse, kann das „Negative in das Sein“, also in Leben, verwandeln. So kann der „Zusammenbruch der humanen Welt“ vielleicht noch aufgehalten werden.

12.
Karfreitag – weltlich, säkular verstanden, sollte also auch ein Tag des Gedenkens werden an die Widerstandskraft des Geistes, an die kritische Kraft der Vernunft angesichts der genannten miserablen Verhältnisse. Wahrscheinlich wird sich diese Widerstandskraft auf Dauer nur mobilisieren lassen, wenn sie selbst sich gegründet weiß in einem absoluten alles gründenden Sinnhorizont. Ein Gedanke, der dem Religions-Philosophen Hegel wichtig war. Und uns im Re­li­gi­ons­phi­lo­so­phi­sch­en Salon Berlin noch immer ist.

13.
Unser Thema könnte natürlich weiter vertieft werden mit Hinweisen auf Nietzsche, etwa auf die Rede von „Gott ist tot“ in der „Fröhlichen Wissenschaft“ (Nr. 125). Siehe Fußnote 1.
Uns interessiert sehr die Erkenntnis Nietzsches, am Schluss dieses Absatzes Nr. 125 formuliert: „Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“ Diese Frage haben die Kirche bis jetzt unbeantwortet gelassen. In dieser These, „Kirchen als Grabmäler Gottes“, sollte an die Mitschuld der Kirchenleitungen und der Christen erinnert werden am genannten „Zusammenbruch der humanen Welt“: Weil die Kirchenleitungen und die Frommen sich nachweislich ums Dogmatische und Spirituelle vor allem kümmerten und eben nicht um das auch politische Ziel der gerechten humanen Welt für alle. Theologisch nennt man dieses Ziel „Reich Gottes“. „Jesus verkündete das Reich Gottes … und gekommen ist die Kirche“, sagte sehr treffend der große französische Theologe Alfred Loisy (1857-1940). Er wurde von der römisch katholischen Kirche exkommuniziert.

 

Fußnote 1.

„Habt ihr nicht von jenem tollen Menschen gehört, der am hellen Vormittage eine Laterne anzündete, auf den Markt lief und unaufhörlich schrie: „Ich suche Gott! Ich suche Gott!“ – Da dort gerade viele von denen zusammenstanden, welche nicht an Gott glaubten, so erregte er ein großes Gelächter. Ist er denn verlorengegangen? sagte der eine. Hat er sich verlaufen wie ein Kind? sagte der andere. Oder hält er sich versteckt? Fürchtet er sich vor uns? Ist er zu Schiff gegangen? ausgewandert? – so schrien und lachten sie durcheinander. Der tolle Mensch sprang mitten unter sie und durchbohrte sie mit seinen Blicken. „Wohin ist Gott?“ rief er, „ich will es euch sagen! Wir haben ihn getötet – ihr und ich! Wir alle sind seine Mörder! Aber wie haben wir dies gemacht? Wie vermochten wir das Meer auszutrinken? Wer gab uns den Schwamm, um den ganzen Horizont wegzuwischen? Was taten wir, als wir diese Erde von ihrer Sonne losketteten? Wohin bewegt sie sich nun? Wohin bewegen wir uns? Fort von allen Sonnen? Stürzen wir nicht fortwährend? Und rückwärts, seitwärts, vorwärts, nach allen Seiten? Gibt es noch ein Oben und ein Unten? Irren wir nicht wie durch ein unendliches Nichts? Haucht uns nicht der leere Raum an? Ist es nicht kälter geworden? Kommt nicht immerfort die Nacht und mehr Nacht? Müssen nicht Laternen am Vormittage angezündet werden? Hören wir noch nichts von dem Lärm der Totengräber, welche Gott begraben? Riechen wir noch nichts von der göttlichen Verwesung? – auch Götter verwesen! Gott ist tot! Gott bleibt tot! Und wir haben ihn getötet! Wie trösten wir uns, die Mörder aller Mörder? Das Heiligste und Mächtigste, was die Welt bisher besaß, es ist unter unsern Messern verblutet – wer wischt dies Blut von uns ab? Mit welchem Wasser könnten wir uns reinigen? Welche Sühnefeiern, welche heiligen Spiele werden wir erfinden müssen? Ist nicht die Größe dieser Tat zu groß für uns? Müssen wir nicht selber zu Göttern werden, um nur ihrer würdig zu erscheinen? Es gab nie eine größere Tat – und wer nur immer nach uns geboren wird, gehört um dieser Tat willen in eine höhere Geschichte, als alle Geschichte bisher war!“ – Hier schwieg der tolle Mensch und sah wieder seine Zuhörer an: auch sie schwiegen und blickten befremdet auf ihn. Endlich warf er seine Laterne auf den Boden, daß sie in Stücke sprang und erlosch. „Ich komme zu früh“, sagte er dann, „ich bin noch nicht an der Zeit. Dies ungeheure Ereignis ist noch unterwegs und wandert – es ist noch nicht bis zu den Ohren der Menschen gedrungen. Blitz und Donner brauchen Zeit, das Licht der Gestirne braucht Zeit, Taten brauchen Zeit, auch nachdem sie getan sind, um gesehen und gehört zu werden. Diese Tat ist ihnen immer noch ferner als die fernsten Gestirne – und doch haben sie dieselbe getan!“ – Man erzählt noch, daß der tolle Mensch desselbigen Tages in verschiedene Kirchen eingedrungen sei und darin sein Requiem aeternam deo angestimmt habe. Hinausgeführt und zur Rede gesetzt, habe er immer nur dies entgegnet: „Was sind denn diese Kirchen noch, wenn sie nicht die Grüfte und Grabmäler Gottes sind?“

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer-Salon.de

 

 

Die Jüdisch-christliche Zivilisation: Nun eine Ideologie der Rechtsextremen.

Über den Betrug der Rechtsextremen. Ein neues Buch von Sophie Bessis.
Ein Hinweis von Christian Modehn am 11.4.2025

1.
Der oft benutzte Begriff „jüdisch – christliche Zivilisation“ wird jetzt von der jüdischen Historikerin Sophie Bessis in Paris als Betrug der Rechtsextremen analysiert und bewertet.
Der Begriff hat sich, eher harmlos – versöhnlerisch klingend, seit etwa 1980 durchgesetzt. In christlichen Kreisen der Theologen wird er auch formelhaft verwendet, manchmal nur in der Kurzform „jüdisch-christlich“.
Dem Begriff gilt jetzt alle Aufmerksamkeit zum Verständnis der Ideologie der Rechtsextremen. Er teilt im Verständnis der europäischen bzw. us-amerikanischen und der israelischen Rechtsradikalen die Menschen in gute und böse. Gut sind angeblich die Verteidiger der „jüdisch-christlichen Zivilisation“ und böse die „anderen“ ,für Rechtsradikale vor allem „die“ Muslime.

2.
Gegen die übliche Selbstverständlichkeit bzw. auch Gedankenlosigkeit im Umgang mit dem Begriff „jüdisch – christliche Zivilisation“ argumentiert die französische Historikerin Sophie Bessis. Sie wurde 1947 in Tunis in einer jüdischen Familie geboren und arbeitet als Historikerin, Journalistin und Autorin zahlreicher wissenschaftlicher Studien in Paris. LINK zur Person.

Ihr neues Buch „La Civilisation judéo-chrétienne: anatomie d’une imposture“, („Die jüdisch-christliche Zivilisation: Anatomie eines Betruges“), wurde publiziert im Verlag „Les Liens qui libèrent“, Paris. LINK zum Verlag.

Das Buch hat in Frankreich viel öffentliche Aufmerksamkeit gefunden, auf deutsch liegt es noch nicht vor.

3.
Der Begriff wird – auf Frankreich bezogen – im öffentlichen Diskurs etwa seit 1980 verwendet. Die konsequente „laicité“ als republikanische Idee ist damals als orientierende Philosophie genauso verschwunden wie die kommunistische Partei. Nun wird das „Jüdisch-christliche“, in dieser Verklammerung, als neue/alte Identität des Westens proklamiert. Eine Art freundliche Geste der Nicht-Juden, der Christen, nach der Vernichtung der Juden im Holocaust.

4.
Einige zentrale Erkenntnisse von Sophie Bessis zur „jüdisch-christlichen Zivilisation“:
Der Begriff markiert die Vorherrschaft einer religiösen Ideologie: Es gilt, mit ihm die europäische Zivilisation ganz entscheidend auf den jüdisch-christlichen Zusammenhalt und die „gemeinsame Geschichte“ zu gründen. Die beiden monotheistischen Religionen sollen also die europäische Zivilisation bestimmen. In der Fußnote 1 wird auf die Verwendung des Begriffes durch westliche Politiker verwiesen.
Damit wird aber vor allem eine andere monotheistische Religion, der Islam, explizit ausgeschlossen, schreibt Sophie Bessis. Und sie zeigt, dass die arabischen Nationalisten diese Formel „jüdisch-christlich“ ihrerseits aufgegriffen haben, um die Interventionen des Westens gegen „den Islam“ – negativ – zu bewerten und zu bekämpfen.

5.
In einem Interview mit „Radio France International“ (RFI) vom 6.4.2025 sagt die Autorin: „Der Islam gilt heute als die Gefahr, er gilt als Barbarei. Die aktuellen israelischen Regierungschefs haben deswegen diese Rhetorik des „Jüdisch – Christlichen“ übernommen, sie zögern nicht, dies öffentlich zu proklamieren. Diese Rhetorik gilt ihnen als letzter Schutzwall der Zivilisation gegen die `muslimische Barbarei`. Und dieser anti-islamische Diskurs Israels wurde übernommen von der Mehrheit der westlichen politischen Klassen… Der Staat Israel wird durch Monsieur Netanyahu und seinen israelischen Führern zum Vorposten der westlichen Zivilisation erklärt – durch die Verwendung des Begriffes „jüdisch-christliche Zivilisation.“

6.
Auch die extremen Rechten im Westen verwenden den Begriff. „Zuletzt hat Monsieur Bardella von der rechtsextremen Partei „Rassemblement National“ (einst „Front National“ von Le Pen begründet) diese Formel verwendet…“, berichtet Sophie Bessis.
Übrigens: Auf die Übernahme des Begriffes „jüdisch-christlich“ durch rechtsradikale Parteien hat schon der Radiosender „France Culture“ am 20.3.2021 aufmerksam gemacht. LINK  

Auch die Partei AFD benutzt die Floskel „jüdisch-christliche Zivilisation/ Kultur“ sozusagen als Inbegriff für Europa, um gegen den Islam und die Flüchtlinge zu polemisieren und die muslimischen Menschen zu vertreiben.

7.
Die Autorin setzt sich in dem Interview mit RFI weiter mit dem Anspruch von Netanyahu auseinander, alle Juden der Welt zu repräsentieren. Dieser Gedanke ist für die Jüdin Bessis unerträglich. Denn dann könnten „alle Juden“ auch für die furchtbare Politik Netanyjahus Politik bestraft werden…
Und Sophie Bessis setzt sich auch mit einem neuen Philo-semitismus in manchen Staaten Europas auseinander, der zumal seit dem 7. Oktober 2023 lebendig wird. Philo-semitismus ist bekanntlich eine ins Ignorant-Positive gewendete Form des Antisemitismus, nur eben exzessiv freundlich erscheinend. Israels rechtsextreme Regierung pflegt mit dem rechtsextremen Präsidenten Orban in Ungarn eine tiefe Verbundenheit, auch mit Präsident Modi in Indien sowie mit zahlreichen neofaschistischen Parteien, für die Antisemitismus eigentlich typisch und wesentlich ist. Aber sie verschleiern diese ihre traditionelle Ideologie, um gegen „den“ Islam zu kämpfen.

8.
Genauso wichtig ist die Erkenntnis von Sophie Bessis: Der Begriff „jüdisch – christliche Zivilisation“ ist Ausdruck einer Illusion von einer angeblich lange währenden kulturellen und religiösen Nähe und Verbundenheit von Juden und Christen: Dieser Begriff ignoriert aber die Jahrhunderte des christlich geprägten Antisemitismus. Der harmlose Begriff verwischt den Jahrhunderte alten Hass der Christen und der Kirchen auf die Juden.

9.
Die Autorin glaubt nicht, dass der Begriff „jüdisch – christliche Zivilisation“ alsbald in der Umgangssprache wie in der Sprache der Politiker verschwindet. Dafür sind die Rechten und Rechtsradikalen leider zu stark.
Dabei liegt Sophie Bessis alles daran, dass dieser verschleiernde Begriff auch politisch immer weiter analysiert wird, um ihn danach beiseite zu legen zugunsten des Begriffes einer humane Weltzivilisation, in der die universellen Menschenrechte gelten. Wir meinen: Zu dieser humanen Weltzivilisation gehören auch die Religionen, auch der Islam: Er wird sich aber wie das Christentum und das Judentum und der Hinduismus usw. korrigieren und reformieren müssen durch die universell gelten Menschenrechte. Denn die Religionen können intern keine radikale Reform ihrer Dogmen usw. gestalten, das kann nur die allgemeine Vernunft. Zur humanen Welt – Zivilisation gehört vor allem auch der Humanismus, der seit der Renaissance Europa zu bestimmen versucht mit seiner Philosophie der Toleranz.

10.
In der christlichen Theologie werden die Adjektive „jüdisch – christlich“ seit vielen Jahren verwendet, in der katholischen Kirche etwa seit dem 2. Vatikanischen Konzil (1962-65). Der Begriff soll – nach dem Holocaust – die Verbundenheit des christlichen Glaubens mit dem Judentum signalisieren. Beispielsweise hat der niederländische Theologe und Poet Hub Oosterhuis – neben vielen anderen Theologen – diese Worte „jüdisch-christlich“ oft gesprochen und geschrieben: Voraussetzung dafür war und ist: Die meisten christlichen Theologen sehen eine enge Verbundenheit des Neuen Testaments der Christen mit der hebräischen Bibel der Juden. Davon spricht Sophie Bessis in ihrem Buch nicht.
Aber darüber sollten Theologen sprechen, selbst wenn es eine Art Tabuthema ist: genauer hinzuschauen, was denn diese enge Verbundenheit des Neuen Testaments der Christen mit der hebräischen Bibel bedeutet. Jesus von Nazareth ist Jude, aber ein Jude mit einer ungewöhnlichen, einmaligen durchaus auch „anderen“ Spiritualität. War er als Jude vielleicht aus dem herrschenden Judentum damals spirituell „hinausgewachsen“? Immanuel Kant hat 1793 seine These zu publizieren gewagt: Jesus von Nazareth hat in Bezug auf das Judentum eine „gänzliche Revolution in Glaubenslehren bewirkt“ (Fußnote 2). Aber dies ist ein anderes Thema…

Fußnote 1: Zitat aus der politischen Website BLAST in Frankreich: „Les hommes politiques en truffent leurs déclarations, s’en réclamant ad nauseam pour justifier leurs actions. Un candidat à l’élection présidentielle américaine de 2000 assurait ainsi qu’« être la seule superpuissance donnait aux États-Unis des responsabilités, en particulier celle d’intervenir à l’extérieur pour protéger les valeurs judéo-chrétiennes (2) ». Le monde est partagé entre « les cultures judéo-chrétiennes » et les autres (3). En France, on consacra en 1998 un colloque à « l’intégration politique des Français musulmans et leur place dans l’espace judéo-chrétien (4) ». Dans une interview au quotidien Le Figaro le 29 mai 2024, l’ex-président Nicolas Sarkozy brandissait lui aussi les « racines judéo-chrétiennes » de l’Europe. Écrit-on sur l’économie ? On y fait référence (5). Siehe: https://www.blast-info.fr/articles/2025/sophie-bessis-la-civilisation-judeo-chretienne-anatomie-dune-imposture-les-bonnes-feuilles-Ep8Ugq3ETDaUeibgnbV5vQ. BLAST vom 15.3.2025.

Fußnote 2: Seite B 190 in „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“.

Das wichtige Buch “La civilisation judéo-chrétienne: Anatomie d’une imposture”von Sophie Bessis ist im Verlag Les Liens qui libèrent in Paris 2025 erschienen, es hat 124 Seiten und den Preis von 10 €.

Copyright: Christian Modehn, Religionsphilosophischer Salon Berlin